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Wenn du jemanden verlierst – eine persönliche Geschichte

Verluste sind nicht leicht im Leben...

Es ist wieder soweit.

Demnächst muss ich Abschied von einer Person nehmen, die mir sehr viel bedeutet. Heute möchte ich genau über diese Situation und meinen Verlust schreiben. Vielleicht hilft dir das ja, wenn auch du in diese Lage kommst.

Das erste Mal, als wir mehr oder weniger bewusst Kontakt hatten, geschah das online. Als ich meine E-Mails las, glaubte ich zuerst, mich verlesen zu haben.

Es schrieb mir eine 80-jährige Frau (!!) und fragte mich, ob ich ihre Lebensgeschichte aufschreiben könne.

Wir vereinbarten ein Treffen. Überraschenderweise wohnte sie nur drei Straßen weiter, wir hatten uns schon öfters am Gartenzaun gesehen und geplaudert.

Damals verwunderte mich das. Heute nicht mehr.

Heute denke ich,

es war uns einfach bestimmt,

ein Stück des Lebensweges gemeinsam zu gehen.

Als wir uns intensiver kennenlernten, verstanden wir uns sofort. Ich bewunderte sie, weil sie alleine in einem Haus wohnte und sich und ihren Hund immer noch selbst versorgte.

Schon bei den ersten Sätzen merkte ich: An Humor und Lebenslust fehlte es ihr nicht.

Als ich sie nach ihren Hobbies fragte, schmunzelte sie und begann mit einer Auflistung:

  • Schreiben (in ihrem Regal standen zahlreiche von ihr veröffentlichte Bücher)
  • Lesen
  • Klavier spielen
  • Malen
  • Reiki
  • Nähen
  • Teilnahme an politischen Diskussionen & Gesprächsrunden
  • Mitglied im Seniorenclub sein
  • sich für andere alte Menschen und Tiere einsetzen
  • Designen und und und.

Mit 70 Jahren hatte sie beschlossen, zwei Fernstudiengänge zu absolvieren. Auch diese schloss sie höchst erfolgreich ab.

Als älteste Teilnehmerin ever.

Ich war beeindruckt und völlig platt –

war sie doch so völlig anders

als die anderen alten Leute, die ich kannte.

Trotzdem hatte sie es in ihrem Leben nicht leicht gehabt.

Kein Schul- oder Berufsabschluss, Kriegsflüchtling und Arbeit von klein auf, um überhaupt leben zu können. Nichts als die Kleidung auf der Haut war ihr nach der Flucht geblieben und trotzdem hatte sie sich immer weiter durchgekämpft. Im späteren Alter dann Heirat, Familie und der Aufbau eines eigenen Geschäftes, das sie bis zu ihrer Rente erfolgreich geführt hatte.

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Und jetzt wollte sie genau diesen Lebenslauf aufschreiben und ich sollte ihr dabei helfen.


Es war ein mutiges Projekt, doch es lief gut an.

Wöchentlich trafen wir uns, tranken Tee und tippten ihre Lebensgeschichte in den Computer. Die vielen Seiten oder Momente, in denen mir fast die Finger abfielen, kann ich gar nicht mehr zählen.

Trotzdem war es etwas,

was mich zutiefst erfüllte.

Es war etwas, das mich mit ihr verband.

Weil ich durch mein Schreiben diese bewundernswerte Frau immer besser kennenlernte und sie ein Vorbild für mich wurde.

Durch sie lernte ich:

Egal, was kommt.

Nimm es mit einer guten Portion Humor hin

und mache das Beste daraus.

Ganz nach diesem Gedicht von Dr. Reinhold Niebuhr:

„Gott gebe mir die Gelassenheit,

hinzunehmen, was nicht zu ändern ist.

Mut, zu ändern, was ich ändern kann.

Und Weisheit, zwischen beidem zu unterscheiden.“

Nach einem Jahr waren wir fertig, gute Freunde und ließen die Biografie drucken. Sie war irrsinnig stolz darauf und verschenkte sie in ihrem Freundes- und Familienkreis. Sogar die Zeitung wurde darauf aufmerksam und brachte einen Bericht über ihr Leben.

Es waren viele schöne Momente, die wir gemeinsam hatten. Bis sie eines Tages stürzte und sich in der Folge nicht mehr selbst versorgen konnte.

Der nächste Schritt wurde unvermeidbar: Das Altenheim.


Für viele alte Menschen ist es ein Problem, in ein Altenheim zu kommen. Wünschen sie sich doch nichts sehnlicher, als in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben. Meine betagte Freundin jedoch ging erhobenen Hauptes in diese Einrichtung. Sie nahm ihre veröffentlichten Bücher und Biografien einfach mit.

Jetzt änderte sich auch unser Kontakt.

Das Schreiben wurde weniger, stattdessen bekamen Gespräche und wöchentliche Ausflüge in die Natur mehr Gewicht.

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Zu diesem Zeitpunkt fiel ihr das Gehen schon viel schwerer und schließlich musste ich sie mit dem Rollstuhl fahren.

Trotzdem ließ sie sich nicht unterkriegen und freute sich auf unsere Treffen.

Dann waren es die kleinen Momente, an denen sie zehrte: Ein Sonnenstrahl auf ihrer Nase; ein schönes Blümchen; das Beobachten von Kindern beim Spielen; ein Schokoladeneis – gemeinsam mit Genuss und einer guten Unterhaltung geschleckt.

Wieder etwas, was ich lernte:

Genieße dein Leben und die kleinen Momente –

sie kommen nie wieder

und sind etwas ganz Besonderes.

Dann plötzlich kam die Diagnose Demenz.

Ihr Gedächtnis wurde stetig schlechter und funktionierte plötzlich nur noch lückenhaft. Jetzt kam uns zugute, dass ich genau über ihr Leben Bescheid wusste. Immer wieder ließen wir ihre Vergangenheit Revue passieren und trainierten dabei ihre Gedächtnisleistung.

Das Schöne war: Die erfüllenden Momente ihres Lebens erlebte die alte Dame gedanklich immer wieder.

Damit blendete sie die deprimierende Realität meistens aus.

Und auch ihr Humor verließ uns nicht.

Im Gegenteil.

Scherzhaft meinte sie des Öfteren zu mir: „Frau Lindner, Sie merken ich bin zwar nicht mehr ganz dicht, aber unterhalten können wir uns ja trotzdem noch.“

So lief das etwa ein Jahr.


Jedes Mal, wenn ich ihr Zimmer verließ, ging ich an einer kleinen Kapelle der Einrichtung vorbei.

Jede Woche war dort ein anderes Sterbebildchen von einem Mitglied des Altenheims ausgestellt.

Und jedes einzelne Mal dachte ich für mich: „Irgendwann wird auch IHR Bild dort ausgestellt sein und ich werde um sie trauern.“

Vor diesem Tag graute mir sehr,

denn ich hatte die Frau mittlerweile

unglaublich ins Herz geschlossen.

Vor ein paar Wochen war es nun soweit.

Seltsamerweise wachte ich in der Nacht davor von einem Albtraum auf. Ich hatte geträumt, dass meiner betagten Nachbarin etwas zugestoßen war. Als ich ins Altenheim kam, empfing man mich schon mit bedrückten Gesichtern. Es war tatsächlich so: sie war hingefallen und hatte sich einen Oberschenkelbruch zugezogen.

Überhaupt nicht gut, denn bei alten Menschen ist dies leider häufig der Anfang vom Ende.

Ich besuchte sie im Krankenhaus.

Sie erkannte mich nicht. Schlief, schlief, schlief. Ich hielt ihr die Hand, streichelte sie, gab ihr zu Trinken und las ihr vor. Ab und zu lächelte sie, sprach wirr, verstand aber, dass jemand da war und sich um sie sorgte.

Nach einigen Wochen wurde sie entlassen und kam wieder ins Altenheim.


Jetzt liegt sie in ihrem Bett und verwechselt Wörter und Buchstaben.

Sie weiß nicht mehr, was sie mit einem Keks in ihrer Hand machen soll und kann nicht mehr aufstehen.

Sie wird gepflegt und 4 x pro Tag gewendet, um Druckstellen durch das lange Liegen zu vermeiden.

Sie ist pflegebedürftig

und wird sich nicht mehr erholen.

Als ich heute da war, sah ich den Tod in ihrem Gesicht.

Wer mit Menschen zu tun hat, die sterben werden, weiß, was ich damit meine.

Das macht mich sehr traurig.

Ich weiß, ich muss jetzt langsam Abschied von ihr nehmen.

Unsere schöne gemeinsame Zeit ist zu Ende.

Unwiderbringlich.

Für meine Begriffe geht das viel zu schnell. In mir tobt ein Gefühlssturm. Ich möchte nicht, dass sie geht.

Ich möchte weiter in ihrer Nähe sein. Ihre Lebensfreude spüren. Gemeinsam mit ihr Lachen und ganz genau wissen, was sie als nächstes sagen oder tun wird.

Ich möchte keinen Abschied.

Aber ich werde mich verabschieden müssen.

Es ist nicht meine Entscheidung.

Es ist die Entscheidung von Gott.

Trotzdem hat sie mir die letzten Jahre so viel gegeben.

Dafür werde ich ewig dankbar sein.

Ich werde unsere schönen gemeinsamen Momente

in mein Herz schließen und weitergehen.

Auch wenn es brutal schmerzen wird, sie zu verlieren.

Wie heißt noch dieser Spruch?

"Das Einzige, was im Leben gleich bleibt, ist die Veränderung?"

Wie wahr.

Wie traurig.

Auch Hermann Hesse hat ein Gedicht darüber geschrieben.

Es heißt "Stufen". Hier liest er es im Original (nimm dir, wenn möglich, die Zeit und höre es dir an - es ist wunderschön).

Warum ich dir dies alles erzähle? Zum einen sicherlich, um mich zu erleichtern. Um ihr ein Denkmal zu setzen. Um weiterzugeben, was ich erfahren (und auch gewonnen!) habe.

Doch auch um dir zu zeigen, dass du nicht alleine bist, wenn du jemanden verlierst.

Du wirst damit umgehen können.

Irgendwann.

Genauso wie ich es tun werde, wenn es soweit ist.

Viel Kraft!

Deine Nicole

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