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Brief einer pflegenden Angehörigen an Gott

Plötzlich Pflegefall? Was sagt Gott dazu?

Lieber Gott, entschuldige bitte, dass ich dich störe. Aber heute kann ich keine Rücksicht auf deine Zeitpläne nehmen. Es ist ein Notfall. Ich bin verstört und ich brauche dich. Ich brauche dich wirklich. Du fragst warum? Tja, gute Frage. Warum? Das frage ich mich auch.

Ich frage nach dem Warum, weil sich in meinem Leben plötzlich alles geändert hat.

Doch nicht nur in meinem.

In unser aller Leben.

Zumindest bei den Personen, die mir am nächsten stehen: Meiner Familie.

Den engsten Menschen in meinem Umfeld.

Den Menschen,

die ich liebe.


Immer noch nicht kann ich glauben, dass von einen Tag auf den anderen plötzlich alles so anders sein soll. Und das nicht nur nuancenweise. Sondern brutal und einschneidend.

Wie eine Axt,

die sich in einem Baumstamm bohrt.

Verzeih die Frage, lieber Gott, aber hast du es gewusst? Hast du gewusst, dass es meinem Angehörigen passieren wird? Falls ja, hätte ich gerne vorher eine Info gehabt. Nenn es Ahnung oder Intuition. Wenn ich sie gehabt hätte, dann hätte ich es vielleicht verhindern können. Vielleicht.

Dabei saßen wir letzte Woche noch ganz normal zusammen. Gackerten, kicherten, erzählten uns Storys. Alles völlig ok, nichts fehlte. Wir waren gesund, zufrieden und erfreuten uns des Lebens. An der gemeinsamen Zeit. Wir aßen Kuchen, tranken Tee, streichelten die Katze. Draußen schien die Sonne. Hell und strahlend. Ungewöhnlich intensiv für diese Jahreszeit. Noch.

Dann, zwei Tage später, war plötzlich gar nichts mehr gut. Da war nur ein Anruf, der sagte: „Es ist etwas passiert, komm schnell.“


Das sind nur ein paar Worte und doch ändern sie alles. Sie beißen sich in dein Gehirn und lassen dich nicht mehr los. Sie werden dein ständiger Begleiter. Plötzlich stehst du im Krankenhausflur und riechst Desinfektionsmittel. Du siehst Schwestern. Du siehst Ärzte. Du wartest auf sie. Stundenlang. Das zert an den Nerven, trotzdem bleibst du geduldig. Du hoffst. Lieber gar keine Nachricht als eine schlechte.

Immer wieder eilen Menschen an dir vorbei. Fremde. Besucher. Andere Angehörige. Doch keiner ist für dich zuständig. Bis sich endlich einer zuständig fühlt. Und der sagt dir dann, dass er dir gar nichts sagen kann. Zumindest nicht nichts, was du auch verstehst. Du erkennst: Niemand hier in dieser ganzen Schose kann dich aufbauen.

Stattdessen (und davon gibt es reichlich): Bedrückte Mienen. Schweigen. Ein Gang.

Wo bleibt die Hoffnung

in dem ganzen Chaos?

Wochen vergehen. Der Gesundheitszustand deines Angehörigen wird besser. Verhältnismäßig. Jetzt bangst du nicht mehr 24 Stunden an seinem Bett sondern nur noch tagsüber. Das erste zaghafte Lächeln belohnt dich für alles. Du fühlst, du liebst diese Person. Du würdest alles für sie tun. Wenn sie nur lebt. Wenn sie nur überlebt.

Irgendwann steht wieder ein Arzt vor dir. Er sagt dir, dass dein Angehöriger es schaffen wird. Du freust dich unbändig. Doch dann kommt etwas, was du so nicht erwartet hast:

Ein „normal“ wird es

in Eurer Familie

nie wieder geben.

Was das dann genau heißt, wirst du früher, als dir lieb ist, erfahren.


Plötzlich hörst du Begriffe, mit denen du nichts anfangen kannst. Pflegestufe, Pflegebett, Katheder, Verhinderungspflege, Treppenlift. Windeln für Erwachsene. Rollstuhl. Völlig neue Welt. Ein Paralleluniversum. Gefühlschaos.

Du schaust auf deinen Angehörigen. Fragst dich, wie es ihm geht. Wie er dazu steht, dass es ihm so geht wie es ihm geht. Wie muss es sich anfühlen, sich nicht mehr bewegen zu können? Welches unerträgliche Gefühl muss das sein?

Als eine Schwester die Bettpfanne hereinträgt, durchzuckt dich ein Gedanke: Im Moment kümmern sie sich. Doch irgendwann tust du das. Dann ist es dein Job, die Bettpfanne zu tragen.

Die Vorstellung macht dir Angst. Große Angst. Doch es ist nicht nur eine Angst, die dich quält sondern verschiedene. Du hast Angst vor der neuen Situation, du kannst sie nicht einschätzen. Du hast Angst, der Pflege nicht gerecht werden zu können. Was ist, wenn etwas passiert? Wenn du etwas falsch machst? Du fühlst dich überfordert von diesem unbekannten Planeten, der sich Pflege nennt.

Es erstickt dich.

Schnürt dir die Luft ab.

Auch hast du Angst, dein Leben jetzt nicht mehr leben zu können. Eingesperrt zu sein. Nicht mehr dein eigenes Ding machen zu können. Dann wiederum fühlst du dich schlecht, weil du diese Gedanken überhaupt hast.

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Solltest du jetzt nicht bedingungslos für deinen Angehörigen da sein? Solltest du nicht ohne mit der Wimper zu zucken dein Leben aufgeben? Und: Was ist das überhaupt für eine Frage? Ist es erlaubt, sie zu stellen? Du weißt es nicht.

Du weißt es einfach nicht.


Deinem Angehörigen zeigst du deine Besorgnis nicht. Machst lieber gute Miene zum bösen Spiel, das fühlt sich einfacher an. Du bist aufbauend. Positiv. Motivierend. Sagst, alles wird wieder gut. Man kann auch mit gelähmten Gliedmaßen weiterleben, kein Problem. „Wir schaffen das“ – klingt gut. Theoretisch.

Doch innerlich… Innerlich heulst du und möchtest du weglaufen. Einfach nur weglaufen und nie, nie wieder kommen.

Wenn du mal nicht im Krankenhaus bist, bekommst du Anrufe von Freunden. Jeder kümmert sich und fragt nach. Du erzählst, erzählst, erzählst. Immer die gleiche Story. Wie ein Leierkasten. Doch ein Happy End gibt es leider nie.

Während alldem macht dein Kopf dich fertig. Er dreht sich immerfort. Tausendmal durchdenkst du alle Szenarien. Es gibt tausend Möglichkeiten und doch fühlt sich keine richtig an.

Alles ist seltsam verzerrt.

Daneben die ständige Sorge um deinen Angehörigen. Die Fragen. Fragen wie: Wird er die Sache überhaupt lange mitmachen? Wie geht es ihm? Hat er Schmerzen? Die allerschlimmste dabei ist: Wie viele Jahre hat er noch - so, in diesem Zustand? Wenn du daran denkst, möchtest du einfach nur noch schreien.

Mittlerweile teilst du die Tage in gute und schlechte ein. An schlechten Tagen weigerst du dich einfach, die Wahrheit zu akzeptieren. Du fluchst, heulst, stampfst auf den Boden und stehst völlig neben dir. Und wieder ist es da, dieses scheiß Gefühl der Angst.

Dein neuer, ekelhafter Freund, der dir immer wieder zuschreit: WIE? SOLL? ES? WEITERGEHEN? Wie wird dieses neue Leben? Welche Rolle wirst du dabei spielen? KANNST du das überhaupt? Immer noch nicht kannst du akzeptieren, dass dein Angehöriger nicht mehr gehen, essen, trinken sondern einfach nur noch liegen kann. Das ist etwas, was deine Vorstellungskraft überschreitet.

Du willst es nicht glauben!

Aber du musst.

Wie sich das anfühlt?

Wie eine Eisenzange,

die dich langsam zerquetscht.

An guten Tagen machst du dir klar, dass es auch andere gibt, die solche Situationen schon überstanden haben. Positive Menschen, die Kraft daraus schöpfen. Menschen, die mutig, gelassen und couragiert durch solche Situationen gehen und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Menschen in Talkshows, die positiv von ihren Pflege-Erfahrungen berichten.

Du bist überzeugt: Sie sind ein Fels in der Brandung. Ein Vorbild. Ein Lichtpunkt.

Doch bist du es auch?


Lieber Gott, das sind die Gedanken, mit denen ich mich heute an dich wende. Das sind die Ängste, die ich dir anvertraue. Das sind die Fragen, die ich dich frage. Ich erwarte nichts Großartiges von dir jedoch ein wenig Trost. Wie der genau aussehen soll, weiß ich allerdings auch nicht.

Weißt du, ich habe immer an dich geglaubt. Ich glaube auch jetzt noch an dich. Doch ich kann einfach nicht glauben, dass dies meiner Familie passiert.

Ist das ein höherer Plan von dir? Wenn ja, was soll er bezwecken? Sollen wir näher zusammenrücken? Füreinander da sein? Einander die Hand halten? Werden wir hineinwachsen in diese neue Situation? Werden wir sie stemmen? Gemeinsam? Oder werden wir daran zerbrechen. Einer nach dem anderen?

Ich hätte gerne Antworten von dir. Ich hätte gerne Gewissheit. Sicherheit. Doch das einzige, was ich sicher habe, ist mein Wille. Und das Wissen, dass ich stark sein kann, wenn es sein muss. Ich schätze mal: Diesmal muss es sein.

Was ich unbedingt von dir brauche, ist Kraft. Rückenwind. Impulse. Und gerade weil ich an dich glaube, glaube ich auch an diese Kraft. Du wirst sie mir schenken, lieber Gott. Und du wirst sie meiner Familie schenken.

Steh uns bitte bei und lass uns nicht im Stich.

Sei für uns da.

„Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.“ Dieses Zitat habe ich einmal gehört. Ich glaube daran so wie ich an dich glaube.

Heute reiche ich dir meine Hand. In der Hoffnung, dass du mich führst. Ich habe Angst aber trotzdem spüre ich etwas, das größer ist als diese Angst. Es nennt sich Vertrauen.

Also lass uns das gemeinsam angehen, lieber Gott.

Jetzt.

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