Wer sich derzeit intensiver mit der Materie der Hochsensibilität auseinandersetzt, kommt mit vielerlei unterschiedlichen Begriffen in Berührung, welche in einen größeren Zusammenhang eingeordnet werden wollen.
Meine Erfahrung hierbei ist diese: Oft vermischen sich die Bezeichnungen und es fällt gar nicht so leicht zu verstehen, was eigentlich hinter den Begrifflichkeiten steckt.
Kennst du den Schweizer Psychiater C. G. Jung? Er lebte von 1875 – 1961 und war der Ansicht, dass Persönlichkeitsmerkmale wie Introversion und Extraversion eine Persönlichkeit stark beeinflussen können (*Leise Menschen - starke Wirkung: Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden.
Als introvertiert nahm er Personen wahr, die eher nach innen (d.h. auf Gedanken, Gefühle usw.) ausgerichtet sind, als extravertiert galten für ihn Menschen, die ihren Fokus auf das Äußere (d.h. Umgebung, Aktivität, Zusammensein mit anderen) legen, so schreibt es zumindest die Autorin Ulrike Hensel in ihrem Buch *"Mit viel Feingefühl: Hochsensibilität verstehen und wertschätzen“ (2013).
Unter anderem aus dieser Grundannahme formten sich mit der Zeit unterschiedliche Persönlichkeitstypologien.
Eine davon ist der „Big Five“.
Der Big Five
Der Big Five ist der bislang gebräuchlichste Persönlichkeitstest, welcher die Grundzüge des Charakters in fünf Hauptdimensionen beschreibt (Harf Rainer, Die Grundzüge des Charakters. Geo Wissen (2018) Nr. 57, S. 58 – 59).
Diese fünf Dimensionen sind:
Offenheit (d.h. bin ich aufgeschlossen für Neues oder mag eher Gewohntes?)
Gewissenhaftigkeit (d.h. ist es mir wichtig, Aufgaben gewissenhaft und korrekt zu erledigen oder bin ich eher ein Schluderer?)
Extraversion (d.h. mag ich gerne Kontakte nach außen oder ziehe mich lieber zurück?)
Verträglichkeit (d.h. strebe ich eher nach Harmonie oder regiere mit meinen Ellenbogen?)
Neurozismus (d.h. bin ich eher ängstlich oder gehe normalerweise entspannt durchs Leben?)
Das Interessante daran:
Jede dieser Dimensionen ist verschieden stark ausgeprägt
in einem Menschen vorhanden.
Besonders der Bereich Extraversion ist hier für uns interessant. Er definiert sich dadurch, in welchem Ausmaß ich Kontakte nach außen suche oder lieber zurückhaltend agiere.
Erinnert dich das Zurückhaltende vielleicht an das Persönlichkeitsmerkmal der Introversion?
Richtig gedacht, nur ist dieser Begriff im Big Five Modell nicht explizit vorhanden, obwohl er dort beschrieben wird.
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Sylvia Löhken (*Leise Menschen - starke Wirkung: Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden, 2015, S. 28) erklärt in ihrem Buch, was sie davon hält:
„Der „Big Five“-Test fasst die Merkmale „introvertiert“ und „extravertiert“
interessanterweise unter dem Oberbegriff „Extraversion“ zusammen –
das ist logisch so, als sei „Frau“ der Oberbegriff für Mann und Frau."
Diese Aussage ist nicht ganz soweit her geholt, wie ich finde.
Betrachten wir deswegen die Introversion ein wenig näher.
Vorhin hast du ja schon erfahren, dass Introvertierte eher nach Innen orientiert sind wohingegen Extravertierte lieber das Außen suchen.
Der prägnante Unterschied:
Beide schöpfen jeweils aus unterschiedlichen Quellen Kraft -
der Introvertierte aus der Ruhe,
der Extravertierte aus dem Austausch mit anderen.
Sehr spannend dabei ist, dass dies sogar anhand der Hirnphysiologie erkennbar ist, d.h. es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Gehirne von Introvertierten und Extravertierten unterschiedlich funktionieren (*Sylvia Löhken, Leise Menschen - starke Wirkung: Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden, 2015).
Wodurch unterscheiden sich introvertierte von extravertierten Menschen bzw. was läuft da anders im Gehirn?
Intro-Expertin Sylvia Löhken (*Leise Menschen - gutes Leben: Das Entwicklungsbuch für introvertierte Persönlichkeiten (Dein Leben), Kapitel: Wo Ihre Persönlichkeit steckt, 2017) bringt Klarheit in die Sache:
Zum grundsätzlichen Verständnis vielleicht vorab: JEDER Mensch (egal ob normalsensibel oder sensibel) ist mit einem vegetativen Nervensystem ausgestattet.
Dessen Job ist es, unserem Körper für alles, was im täglichen Dasein (z.B. Körperfunktionen, Aktivitäten usw.) so anfällt, Energie zu liefern.
Dafür benutzt es zwei unterschiedliche Kreisläufe:
Sympathikus (= liefert dir Power)
und Parasympathikus (= bringt dich runter und sorgt für Entspannung).
Beide Kreisläufe sind niemals gleichzeitig am Werk, der Körper wendet sie jedoch abwechselnd an – je nachdem, welchen Situationen er ausgesetzt ist.
Beispiel:
Stell dir vor, du hast einen Kollegen, mit dem du ein klärendes Gespräch führen musst.
Für dich als sensibler, eher konfliktscheuer Mensch wird das nicht ganz so einfach sein.
Deswegen liefert dir der Sympathikus (genauer: Der Botenstoff Dopamin) die nötige Kraft d.h. er sorgt dafür, dass du trotz möglichem Herzklopfen und Schweißausbrüchen deinen Mut zusammennimmst und dich der Konfliktsituation aktiv aussetzt.
Nachdem du das Gespräch hinter dich gebracht hast, kommt der Parasympathikus (genauer: Der Botenstoff Acetylcholin) zum Einsatz.
Er fährt dein Stresslevel runter und lässt dich wieder zur Ruhe kommen, d.h. dein Herz schlägt wieder im Normaltakt und deine Schweißhände machen sich vom Acker.
Der große Unterscheid von Intros und Extros ist nun dieser:
Intros sind stärker vom Parasympathikus geprägt,
Extros hingegen vom Sympathikus.
So viel zum Unterscheidungsmerkmal 1.
Falls dich die ganze Geschichte intensiver interessiert, kannst du sie übrigens HIER sehr gut beschrieben nachlesen.
Extros finden alles, was neu und aufregend ist, toll.
Sie lieben es, in Action zu kommen, in Menschenmassen zu baden und im Alltag Gas zu geben.
Intros sind hiervon nicht so begeistert.
Ihnen ist ein ruhiges Plätzchen oder ein Gespräch mit nur einer Person lieber.
Auch nehmen sie sich gerne die nötige Zeit für das, was im Alltag zu erledigen ist. Sie reflektieren viel, denken nach und sind gerne auch mal für sich.
Ein persönliches Beispiel aus meinem Leben:
Ein enger Freund von mir ist eher extravertiert geprägt, ich hingegen introvertiert. Letztens meinte er zu mir, dass er verrückt werden würde, wenn er die Abende wie ich mit einem Buch in der Hand auf der Couch verbringt.
Ich glaube, er hat 200 Freunde, mit denen er auch über die sozialen Medien ständig in Kontakt ist, ich hingegen habe wenige gute, mit denen ich am liebsten persönlich kommuniziere. So sind wir zwar ziemlich unterschiedlich, jedoch schon seit über 30 Jahren befreundet.
Der Hintergrund:
Er und ich
verarbeiten Außeneindrücke unterschiedlich.
Ich bin durch ein Übermaß an Reizen schnell gestresst, er angenehm stimuliert.
Das liegt daran, dass der Gehirnbereich, der für die Aufnahme von Sinnesreizen zuständig ist, bei ihm stärker durchblutet ist als bei mir.
Trotzdem profitiere auch ich von diesem stärkeren Blutfluss, jedoch an anderer Stelle: An der vorderen Großhirnrinde - dem Bereich, der dafür sorgt, dass ich lerne, entscheide, mich erinnere oder Probleme löse.
Leider heißt das nicht automatisch, dass ich schneller zum Ergebnis komme, wenn ich über eine Sache intensiv nachdenke.
Bei mir legen die Reize längere Strecken zurück, d.h. wenn man so will, habe ich „längere Leitungen“ in meinem Gehirn, wie auch Sylvia Löhken in ihrem Buch so schön schreibt.
Das führt dazu, dass ich im Gespräch für eine Antwort manchmal länger brauche, schlagfertiges Reagieren auf schnippische Bemerkungen liegt mir nicht so.
Intros sind sicherheitsorientiert, Extros belohnungsorientiert, das ist Fakt.
Im realen Leben erkennst du das daran, dass introvertierte Persönlichkeiten das Risiko eher scheuen und sehr genau nachdenken, bevor sie etwas wagen.
Auch sind sie gute Zuhörer und Reflektierer, sehr oft fühlen sich Mitmenschen bei ihnen gut aufgehoben und geborgen.
Das Kompliment „hey, Wahnsinn - mit dir kann man total gut reden!“ wird ihnen dabei sicher nicht fremd sein.
Extravertierte Menschen hingegen definieren sich oft über Statussymbole und Errungenschaften.
Dabei lieben sie das Risiko und wagen gerne Neues. Auch gehen sie dabei nicht selten ungewöhnliche Wege und reagieren flexibel auf Widerstände.
Alles in allem sind sie Macher, die sich gerne ausprobieren und schauen, wohin das Leben sie führt.
Wieder ein persönliches Beispiel:
Mein bester Freund machte sich vor zehn Jahren von einem Tag auf den anderen mit einem Laden für Geschenkartikel selbständig. Er fasste seinen Entschluss, kündigte sein Angestelltenverhältnis und legte los.
Heute floriert sein Unternehmen und er ist der glücklichste Mensch überhaupt.
Ich hingegen bevorzuge schon seit Jahren eine Mischform des Arbeitens: Zum Teil angestellt, zum Teil selbständig. So bin ich finanziell auf jeden Fall abgesichert, sollte es mit der Selbständigkeit nicht so laufen, wie ich mir das auf Dauer vorstelle.
Dabei bin ich auch glücklich mit dem, was ich tue. Nur eben lieber mit Netz und doppeltem Boden.
Woran liegt das nun, dass mein Freund und ich ein und dieselbe Sache so unterschiedlich angehen?
Die Antwort:
Wieder in unseren Gehirnen,
genauer gesagt im Limbischen System –
dem Teil, der unsere Gefühle steuert.
In meinem Gehirn reagiert der sog. Mandelkern (Fachwort: Amygdala), empfindlicher auf Umweltreize, d.h. Neues und Unerwartetes verunsichert mich und ich gerate schneller in Stress.
VORSICHT ist also die vorherrschende Devise, ganz im Gegensatz zu meinem Freund.
Bei ihm reagiert das Belohnungs- und Lustzentrum (Fachwort: Nucleus accumbens) empfindlicher, d.h. intensive Glücksgefühle gehören zu ihm wie sein täglich Brot.
Um diese zu erlangen, springt er Zeit seines Lebens gerne ins kalte Wasser und wagt immer wieder Neues.
Für dich verständlich oder doch zu viel Input auf einmal?
Kurz und knackig kannst du dir am Ende dieses Abschnitts ja vielleicht einfach nur dieses merken:
Intros agieren lieber sicherheitsorientiert, Extros belohnungsorientiert.
Beides hat Vorzüge, beides hat Nachteile.
Wie kommt das jetzt mit der Hochsensibilität zusammen?
Wenn du hochsensibel bist, bist du empfänglicher für innere und äußere Reize und brauchst länger, um diese zu verarbeiten.
Ein einfaches Beispiel:
Stehen zwei Menschen in einem Museum und betrachten das ein und dasselbe Bild, bemerkt ein Normalsensibler möglicherweise zehn Farbtöne wohingegen der Hochsensible vielleicht zwanzig Farben, Übergänge und verschiedenste Schattierungen erkennt.
Verlassen die beiden das Museum redet der Normalsensible schon über die nächste Aktivität wohingegen der Hochsensible immer noch über das tolle Bild nachdenkt und sich fragt, mit welcher Intention es geschaffen wurde.
Dieses Wahrnehmen kannst du auf alles, was du siehst, hörst, riechst, schmeckst oder fühlst übertragen.
Kurz:
Hochsensible nehmen auf allen Sinnesebenen intensiver wahr und sind empfänglicher für Reize
Sicherlich fragst du dich jetzt, warum ich mich in den vorigen Abschnitten so ausführlich mit Intro- und Extraversion beschäftigt habe.
Der Zusammenhang zur Hochsensibilität ist dieser:
Aber Vorsicht, das bedeutet NICHT automatisch, dass ein Hochsensibler nicht auch extravertieren kann!
Etwa 30 Prozent aller außerordentlich empfindsamen Menschen sind eher nach außen gerichtet (sog. „High Sensation Seeker“, d.h. sie lieben neue Erfahrungen und suchen das Abenteuer).
Auch gibt es Hochsensible, die sich gerne wandeln und immer wieder mit neuen Projekten beschäftigen (sog. „Scanner“, d.h. Personen, die Erfahrungswerte auf den verschiedensten Lebensgebieten für sich verzeichnen können).
Bezogen auf den Beruf kann das manchmal zu Schwierigkeiten führen, weil es nicht so einfach ist, die richtige berufliche Arbeitsform zu finden. In meinem Buch *„Feinfühligkeit trifft auf Berufsleben: Wie Sie Beruf und Ihr Naturell in Einklang bringen können“ habe ich mich ausführlich mit dieser Thematik beschäftigt.
Zusammengefasst ist zu sagen:
Bedeutet nun der Begriff „schüchtern“ nun das Gleiche wie hochsensibel oder introvertiert?
Solltest du diese Angst haben, kann ich dich beruhigen, denn die Antwort lautet Nein.
Schüchternheit ist eine Ausdrucksform von Ängstlichkeit, so beschreibt es Wikipedia.
Dabei gibt es schüchterne Extra- und Introvertierte bzw. Hochsensible, genauso wie nicht-schüchterne.
Bei schüchternen Menschen ist der Knackpunkt hauptsächlich die Angst vor sozialen Kontakten, denen sie sich nicht gewachsen fühlen.
Trotzdem bedeutet schüchtern
NICHT automatisch introvertiert und/oder hochsensibel.
Kompliziert?
Nicht wirklich. Wenn man sich intensiver damit beschäftigt, was ich mit diesem Blogartikel getan habe.
Ich hoffe, ich konnte mit meinen Ausführungen ein wenig Licht ins Dunkel der begrifflichen Verwirrung bringen.
Kurz zusammengefasst hier noch einmal die absoluten Basics aus diesem Artikel:
Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit und eine letzte Frage an dich:
Wo findest DU dich in diesen Beschreibungen wieder?
Ich freue mich auf deine Erfahrungen!
Veränderung
erfordert
Kontinuität!
Meine Hilfen für dich:
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